Trossau - unsere Heimat

Der geheimnisvolle Klang einer Geige


Was das Internet so alles entstehen lässt ist doch seltsam. Vor einem Jahr bekam ich eine Nachricht aus Trossau. Die Nachricht hatte folgenden Inhalt und folgende Fragen.

Aber am besten erzähle ich die ganze Geschichte, so wie sie sich das Ganze abgespielt haben muss. Die Bewohner eines kleinen Hauses in Untertrossau verbrachten einen kalten Winterabend gemeinsam wie immer in der Vorweihnachtszeit in ihrer Wohnstube. Wahrscheinlich pfiff ein eisiger Wind von Westen die Dorfstraße von Obertrossau herunter. So wie es immer ist wenn der kalte Wind aus West wieder Schnee brachte. Draußen lag schon etwas Schnee und es sah ganz danach aus, als ob noch weiterer in dieser Nacht hinzukommen sollte. Die Bewohner, ein Vater und sein erwachsener Sohn saßen zusammen um den Küchentisch herum und unterhielten sich. Der Vater fragte sich wie er wohl morgen die Straße nach Obertrossau hochkommen sollte, wenn wieder nicht geräumt war und ein halber Meter jede Zufahrt zum Unterdorf blockierte. Der Sohn klagte, dass er schon am Morgen mit dem Auto nach Karlsbad fahren musste und der vielleicht sogar Schneeketten anlegen musste. Der Sohn öffnet eine Bierflasche und goss sich ein Glas Bier ein. Der Vater hatte den Kamillentee vor sich stehen und trank hin und wieder einen kleinen Schluck. Hie und da murrte er über das schlechte Fernsehprogramm das im Hintergrund lief. Wirklich zuschauen tat eigentlich keiner der Beiden. Es flimmerte so vor sich hin wie jeden Tag. Manchmal stritten sich die beiden über die eine oder anderen politischen Äußerung und über das Leben, das so einfach verging. Minute für Minute, Stunde für Stunde, Tag für Tag.

Aber was da? Sie lauschten. Ein Klang, den man so als einzelner Klang im Fernsehen noch nicht ge-hört hatte. Es war nicht der Fernseher. Der Klang er kam von Draußen, irgendwo aus dem Dunklen. Sie gingen an die Tür. Wer spielte bei diesem Wetter, vor der Tür Geige? Sie gingen an die Tür und öffneten sie. Es war deutlich zu hören, eine Geige. Ganz zart. Der Klang kam von der Ruine gegen-über. Über die Straße war ein altes Gemäuer von einem verfallen Gehöft aus dem Jahre vor der Vertreibung. Dort haben einmal Menschen gewohnt. Eine geisterhafte Nachbarschaft meldete sich zurück. Auf der anderen Seite der Straße war aber niemand. Kein Geiger und keine Geige. Nach dem die Geige verstummt war gingen der Vater und sein Sohn ins Haus und schauten sich noch lange schweigend an. Sie fragten sich was das wohl zu bedeuten hätte und irgendwie blieb ihnen der Klang im Gedächtnis.


Aber auch am nächsten Abend waren diese Klänge wieder da. Diese Klänge ertönten jeden Abend und dies über eine Woche. Immer wieder derselbe Klang, dieselbe Geige und dasselbe traurige Lied. Ein Lied dass sie noch nie gehört hatten. Ein fremdes Lied und doch zauberhaft.
Nach einer Woche verstummte der Klang und die Tage verliefen weiter wie bisher. Immer Dasselbe eintönig, gleichmütig und irgendwie langweilig. Aber der Klang ging beiden nicht aus dem Kopf.
Der Sohn saß wieder einmal an seinem Computer, damit er nicht immer die gleichen Erzählungen und die zweifelhaften Heldentaten seines Vaters mit anhören musste. Zu sagen hatten sich die Beiden wenig. Er hatte eine Arbeit bei der er kein Geld verdiente und so kaum über die Runden kam und der Vater streifte durch einen Ort, der für ihn im Grunde schon sechzig Jahre nie zur Heimat geworden ist. Es gab hier nichts, keine wirklichen Nachbarn, keine Ereignisse und so eigentlich nichts. Jedenfalls Keinen der Geige spielen konnte.


Durch Zufall suchte er im Internet nach Ereignissen die im Ort geschehen waren. Eine Seite über den Ort gab es nicht. Er erinnerte sich dass der Ort einmal Trossau geheißen hat. Er suchte nach Trossau und fand die Internetseite des Ortes. Es gab auch dort einen Eintrag wo er anfragen konnte, ob jemand was über den erlebten Spuck wusste. Vielleicht gab es eine unbekannte Sage oder Märchen.
Aus diesem Grunde schrieb er eine Email in Hoffnung, dass jemand etwas über diesen Spuck wuss-te. Nur die ehemaligen Einwohner konnten ihm weiterhelfen.


Und so kam die Anfrage zu mir. Ich wollte diesen Erlebnissen auf den Grund gehen und konnte Gottseidank noch meine Tante fragen. Eine der letzten Einwohnerin eines Ortes, der einmal fast tausend Einwohner hatte. Die Tante sagte mir den Namen des Bewohners des Hauses aus dem die Klänge der Geige kamen. Dort wohnten die Familie Hink. Ich könnte ja mal Herrn Hink anrufen und mit ihm über diese seltsamen Geigenklänge sprechen.


Bei einem längeren Gespräch erzählte mir Herr Hink Folgendes:


Es war Montag, der 15.4.1946. Die Familie stand auf der Liste die sich für immer von ihrem Dorf ver-abschieden mussten. So wie schon viele vorher. Es war immer dasselbe schreckliche Erlebnis. Man bekam schon am Tag zuvor die Anweisung, dass man am nächsten oder übernächsten Tag das Haus, den Ort, die Heimat zu verlassen hat. Immer wieder das Gleiche. Was nehme ich mit? Was ist mir wichtig. Es waren die Tränen, das stille Weinen, die Schreie, die tiefe Trauer und die Wut. Man haderte mit Gott und mit allem was einem lieb war. Warum wir, war immer die Frage. Was haben wir verbrochen? Wir haben hier gelebt und es war schön, wenn es auch immer nicht leicht gewesen war. War es doch immer nur Arbeit und Mühsal. Doch es gab doch immer auch den einen oder anderen schönen Augenblick. Die Liebe, die Liebste, die Eltern und Kinder und auch die Musik. So oder ähnlich ist es bestimmt auch der Familie Hink ergangen. Wahrscheinlich hat Herr Hink seine Geige vergraben, bevor er sich auf dem Dachboden aufgehängt hat. Er wollte die Reise ins Ungewisse nicht mitmachen. Er konnte sich nicht vorstellen wie es in Zukunft weiter gehen soll. In der Fremde ohne Heimat ohne die Vertrautheit der Familie, der Freunde und Verwandten. Er wollte sich nicht auf den Viehwagen setzen und ein letztes Mal unter Tränen die Dorfstraße rauffahren. Er wollte nicht den Schmerz der anderen ertragen und er wollte selbst nicht diese Schmerzen erleben, die einem die Kehle zu schnüren biss man keinen Ton mehr raus bringt. Er vergrub seine Geige und machte seinem Leben ein Ende.


Die Familie fand den Toten am nächsten Morgen. Sie nahmen den Toten ab und legten in auf den Boden. Einer oder mehrere liefen zum Pfarrer, es war Pfarrer Hahn oder einem anderen Verantwortlichen in der Gemeinde. Nach dem Krieg wurde Franz Spranger als Sozialdemokrat zum Bürgermeister bestimmt. Spranger als Sozialdemokrat hatte selbst unter den Nazis zu leiden und auch die Tschechen nahmen keine Rücksicht auf seine politische Gesinnung. Er war Deutscher und somit schuldig. Der Bürgermeister und der Pfarrer versuchten bei den Verantwortlichen einen Aufschub für die Vertreibung der Familie zu erreichen. Aber allem Bitten wurde nicht statt gegeben. Die Familie musste fort. Der Wagen wartet ein paar Häuser weiter. Geschockt nahmen die Familie Abschied von ihrem Vater. Der tot vor dem Haus lag. Sie hätten ihn gerne begraben und sie wollten doch noch Abschied nehmen. Abschied von ihrem Vater. Der Himmel stürzte über sie zusammen. Aber unerbittlich wurden sie aufgefordert auf zusteigen auf den Wagen. Ihre wenigen Habseligkeiten aufzuladen. Der Wagen fuhr los. Vor der Tür lag der tote Vater. Es war ein Schreien, ein Schluchzen, ein Jammern. Es fehlen die Worte so etwas zu Beschreiben.


So lag der Tode vor dem Haus und er wurde dann später, wahrscheinlich auch von den dageblieben Bewohnern von Trossau zu Grabe getragen. Er lag vor seiner Tür, die Familie fuhr auf dem Wagen davon. Stieg in den Zug der sie nach Hessen brachte.


Ein Schicksal über das die Geschichte kein Buch geschrieben hat, das sich aber bestimmt in das Ge-dächtnis und das Unterbewusste der Familie über Generationen eingetragen hat.


Und dann der Klang der Geige über sechzig Jahre nach dem Ereignis. Die Geige von Josef Hink, die ihren Klang allen kundtut, die hören wollen und genau hinhören. Die sich dem Leid nicht verschließen. Die ein ehrendes Gedächtnis bewahren. Die Vergangenheit nicht verleugnen und sich jeder Schuld stellen. Ein mahnender Klang, Alles zu tun, dass niemand mehr vertrieben wird und dass niemand auch nicht tot zurück gelassen werden darf. Eine kleine Geschichte aus der Gegenwart über ein Ereignis, dass uns zeigt dass uns die Vergangenheit immer wieder einholt.